31. 2000
Dez

Abschiebung meines Kochs Afrim im Jahr 2000

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In der nicht gerade ereignisarmen Geschichte des "Voglers" war ein Kapitel, an das sich viele von Ihnen vielleicht noch erinnern werden, die Abschiebung meines Kochs Afrim durch den ehemaligen bayerischen Innenminister Günther Beckstein, CSU, im Jahr 2000.

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Auch damals konnte die CSU mit Flüchtlingen nicht so wahnsinnig viel anfangen. Afrim kam aus dem damaligen Kriegsgebiet Kosovo, war mein, hervorragender, Allein-Koch - und unterstütze mit dem verdienten Geld seine völlig auf ihn angewiesene Familie im Kosovo.

Um das zu schaffen, arbeitete Afrim zum Teil in zwei weiteren gastronomischen Betrieben. Afrim war natürlich kranken- und sozial-versichert und zahlte seine Steuern, fiel dem Steuerzahler also nicht "zur Last". Einen Koch wie Afrim hat das "Vogler" nicht wieder gefunden. Das Haupt-Argument der "Bayerischen Staatsregierung" war damals: Afrim würde einem Deutschen einen Arbeitsplatz wegnehmen. Wer sich nur ein bischen in der Gastronomie auskennt, weiß, was das für ein, sorry, bescheuertes Argument ist.

Wissend um dieses "Argument", hatte ich beim Arbeitsamt einen Koch gesucht. Vier wurden mir vorgeschlagen. Einer kam nicht, zwei brauchten nur den Stempel und der vierte: war besoffen.

Weder eine Unterschriftenliste mit am Ende 2259 Unterschriften (damals hatte ich noch keinen Newsletter-Verteiler, es gab noch kein Facebook etc.), noch eine Petition im Landtag, noch eine CD, "Afrim & Die Voglers", noch das neun Meter lange Plakat über dem Lokal "Unser Koch Afrim darf nicht abgeschoben werden", noch das Bitten der Medien, noch diverse politische Bemühungen (über den damaligen Landtags-Präsidenten Johann Böhm, über Landtags- (und hierbei besonders der unermüdliche Einsatz vom Abgeordneten der Grünen, Dr. Martin Runge) und Stadtrats-Mitglieder (insbesondere Siegfried Benker) etc.), die Zusammenarbeit mit dem KVR, noch ... haben daran etwas ändern können.

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Ein Beispiel meiner Versuche: Da Print-Medien und Fernseh-Sender, aber keine einzige Radio-Station das Thema aufgriffen, kam ich auf die unglaublich glorreiche Idee, eine CD aufzunehmen. Mein Ansatz: Damit die Radio-Sender im Notfall sagen könnten: "So etwas schreckliches haben wir noch nie gehört, aber es geht um ...".

Es war ein grandioser Erfolg: Kein einziger Radio-Sender hat darüber berichtet. Aber: Print-Medien und zwei Fernseh-Sender. Lag das Desinteresse der Radio-Sender an meinem Text oder meiner Mitwirkung im Chor?! Urteilen Sie selbst. Bitte erinnern Sie sich vorher kurz an die Melodie von (achten Sie auf die "Live"-Performance der Band) "Ich will Spaß, ich will Spaß" von MARKUS, dessen Manager damals freundlicherweise die Genehmigung zur "Kopie" erteilte. Aufgenommen wurde die CD im ehemaligen "Pilot Studio" von Curt Cress, ein Haus weiter in der Rumfordstrasse 15, die Karaoke-Version stellte der Rock-Fotograf Wolfgang Heilemann, der damals noch seinen "Karaoke"-Laden in der Rumfordstrasse 41 hatte, zur Verfügung. Wenn Sie so wollen: Eine echte Rumfordstrassen-Co-Produktion. Lead-Sänger: Afrim. Background-Sänger: Marc Schnotalla, Steven Buchner - und ich.

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Ich bin Afrim und steh' am Herd, Beckstein findet mich total verkehrt, schiebt mich ab - Chor: SCHIEBT IHN AB, SCHIEBT IHN AB

Ich finde das überhaupt nicht ok, der Afrim tut doch keinem weh, ich bleib' da - Chor: IST DOCH KLAR, IST DOCH KLAR

Ich soll raus, ich soll raus - Chor: ER BLEIBT DA, ER BLEIBT DA - will nicht gehn, will nicht gehn - Chor: WÄR' DAS SCHÖN, WÄR' DAS SCHÖN

Herr Beckstein hab' doch auch ein Herz, Du spürst doch sicher auch Afrims Schmerz, laß mich da - Chor: LASS IHN DA, LASS IHN DA

Und wenn ich für Dich kochen soll, scheißegal, ich machs Dir toll, ich koch' gut - Chor: ER KOCHT GUT, ER KOCHT GUT

Ich koch gut, ich koch gut - Chor: HABT DOCH MUT, HABT DOCH MUT - lass mich da, lass mich da - Chor: IST DOCH KLAR, IST DOCH KLAR

Deutschland, Deutschland spürst Du mich - Chor: AFRIM, AFRIM WIR BRAUCHEN DICH - ich bleib da - Chor: DU BLEIBST DA, DU BLEIBST DA.

DER AFRIM IST UNSER BESTER FREUND - hui, wasn Spaß, wenn ich dann bleib ...

Wenn das nicht in 100 Jahren ein Hit wird. - Die AZ und TV-München hakten dann bei Innenminister Beckstein nach, ob er sich denn die CD schon angehört habe (selbstverständlich hatte dieser ein besonders schönes, handsigniertes Exemplar bekommen, Ehrensache). Sein Büro: "Leider nein. Es gibt keinen CD-Spieler im Innen-Ministerium".

Wer mich kennt: Eine Steil-Vorlage. Es folgte ein Benefiz-Abend unter dem Motto: "Vogler hilft Beckstein - hilft Beckstein Vogler?!". Es wurde für einen Ghetto-Blaster gesammelt. Mit diesem zogen Afrim und ich mit der entsprechenden Medien-Präsenz vor das Innen-Ministerium, spielten Becksteins Beamten die CD vor - und wollten Ihnen den Blaster schenken. Schliesslich sollte ihr Chef auch in das unglaubliche Hör-Vergnügen kommen. Aber: "Wir dürfen leider keine Geschenke annehmen!". No comment.

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Zur Farce geriet meine Petition an den Landtag. Daß ich bei der CSU-Mehrheit im Petitions-Ausschuss keine Chance hatte, war klar. Ein Versuch war es aber trotzdem wert. Vor meiner Petition wurde die Petition eines anderen Petenten behandelt. Dieser stand auf und schilderte seinen Fall. Und ich dachte mir: Den kenn' ich doch. Es war ein Zechpreller, den ich angezeigt hatte. Da er das wohl öfter machte, landete er in Stadelheim, bekam dort Post von seiner Freundin, die ihm aber, warum auch immer, später als die sonst üblich-verzögerte, weil zu überprüfende Gefängnis-Post zugestellt wurde. Diese Zustände würden ihn an das 3. Reich erinnern. Deshalb seine Petition. Und Sie glauben es nicht: Dieser Petition wurde stattgegegeben ...

Es war ab einem bestimmten Zeitpunkt klar, daß nur noch eine Heirat eine Abschiebung verhindern könnte (sorry noch einmal an alle, denen ich etwas von "seiner Freundin" erzählt habe und erzählen musste). Ich musste Afrim eine Frau "organisieren". Das eigentliche Problem war ein klassisch marktwirtschaftliches: Angebot und Nachfrage. Es gab, klar, wenig heiratswillige Frauen, aber damals sehr viele Männer, die u.a. kriegsbedingt, ihren Aufenthalt sichern wollten. Verknappung erhöht den Preis, usw. usw. 

Long story, short: Ich fand über eine Freundin, die, warum auch immer, mit einem Puff-Besitzer in einem Motor-Boot auf einem österreichischen See ein Picknick abhielt und diesen fragte, "ob er nicht zufällig jemanden wüsste, die bereit wäre ..." . Er wusste jemanden. Eine sehr nette Dame. Viel Geld sollte das kosten. Ich sicherte mich ab. Prüfte. Recherchierte.

Afrim und ich sagten schliesslich zu. Unter der Bedingung: Ratenzahlung. Safety first. Sonst wäre vielleicht am Tag nach der Hochzeit gleich noch einmal "eine Gebühr" fällig. "Klar, kein Problem."

Alles, aber auch wirklich wurde organisiert, abgesichert, "seine Freundin" kam mehrmals nach München, sie wollte mit dem Geld "den Ausstieg schaffen" und sich eine eigene Existenz aufbauen (und das könnte am Ende das Problem gewesen sein).

Einen Tag vor der Hochzeit rief mich der Puff-Besitzer an. Er hätte es sich anders überlegt, möchte doch das ganze Geld auf einmal. Damit war die "Hochzeit" gestorben - und damit war klar: Wenn Afrim nicht "freiwillig ausreist", darf er nie wieder zurück.

Es gab ein grosses Abschiedsfest im "Vogler", mit einem Kabarett-Auftritt von mir als "Günther Beckstein". Stephan Jäger, 16 Jahre lang Chefkoch des "Hotels Vier Jahreszeiten", zauberte mit Afrim u.a. "Carpaccio, nicht vom bayerischen Innenminister" oder "Von Beckstein nie abgeschoben werdender Schweinebraten".

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Und Afrim verliess Deutschland einen Tag, bevor Beckstein ihn abgeschoben hätte (jetzt wissen Sie auch, warum es einen Cocktail namens "Beckstein" auf meiner Getränke-Karte gab). Was aus Afrim geworden ist?! Er lebt, natürlich, wieder in Deutschland. In Bayern. War bereits nach einem Monat wieder da. Wie?! Das ist eine andere Geschichte.

Hätte man das alles nicht auch wesentlich einfacher, menschlicher machen können?!

P.S.: Eine klitze-kleine Auswahl des Schriftverkehrs zum Thema "Afrim" finden Sie hier. Den Brief an Beckstein würde ich heute anders schreiben. Aber: Damals war ich ja noch jung und unbedarft. Und: Heute gäbe es sicher noch mehr Möglichkeiten, eine Abschiebung zu verhindern. Mein großer Dank gilt allen, die zum Teil mit immensen Einsatz alles versucht haben, diesen bürokratisch-politischen Blödsinn zu verhindern.

 

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