2. 2018
Jun

Die unglaubliche Geschichte des Hauses "Rumfordstrasse 17"

Sie wissen, es gibt kaum einen ehrbareren Beruf, als den des Gastronomen. Klar. Schon Lucius Lucullus soll 63 vor Christus gesagt haben: "Wer nichts wird, wird Wirt. Wer gar nichts wird, Betriebswirt. Und wer gar nichts ist: Jurist" (der Original-Beleg ist leider vom römischen Juristen Julius Paulus im 3. Jhdt. nach Christus, angeblich aus Versehen, aufgegessen worden).

Doch ein Gastronom ohne "Haus" ist wie eine Schnecke ohne selbiges - ziemlich nackt. Das Haus, in dem das "Vogler" seine Heimat finden durfte, befindet sich, wie Sie wissen, in der Rumfordstrasse 17. Erbaut: 1876. Von Anfang an gab es im Erdgeschoss einen gastronomischen Betrieb.

Im Zuge von "20 Jahre Vogler" 2017 habe ich versucht, die spannende Geschichte des Hauses "Rumfordstrasse 17" und seiner vielfältigen Gastronomen zu recherchieren. Nicht zu allen Gastronomen (und es gab oft einen Pächter-Wechsel) gibt es Geschichten und/oder Belege. Wenn Sie selbst noch Geschichten, Belege ... kennen: Ich freue mich sehr darüber. Nur einen Teil der Original-Belege habe ich hier integriert.

Natürlich kratzt so eine "Geschichte über ein Haus und seine Gastronomen" nur an der Oberfläche. Es ist nicht möglich, den einzelnen Gastronomen gerecht zu werden, da ich nicht weiß, welche Probleme, Ängste, Hoffnungen es gab, welche Rückschläge sie verkraften mussten, mit welchen Schwierigkeiten sie zu kämpfen hatten. "Der Mensch" hinter den Namen bleibt meist verborgen. Aber trotzdem hoffe ich: Die folgenden Zeilen geben Ihnen einen kleinen, abwechslungsreichen Einblick in die Höhen und Tiefen eines einzigartigen Hauses: Rumfordstrasse 17.

Ohne die Hilfe von Dr. Heusler vom Stadtarchiv hätte diese "Haus-Geschichte" nicht geschrieben werden können. Danke! Und ohne das große Verständnis der Brauerei und des Hausbesitzers, der "Sedlmayr Grund und Immobilien KGaA" gäbe  es das "Vogler" schon lange nicht mehr. Danke!

Der erste Beleg, der sich im Stadtarchiv über gastronomische Betriebe in der Rumfordstrasse 17 finden läßt, ist der Nachweis einer "Wirthschaft" aus dem Jahr 1884:

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Damals war die jetzige "17" noch die "13" (wann und warum die Nummerierung geändert wurde, läßt sich für mich leider nicht mehr nachvollziehen). Aus dem Dokument geht hervor, dass es schon 1876, also bei Fertigstellung des Hauses, eine "Wirthschaft" gab - und von 1880 bis 1884 bereits vier Pächter-Wechsel.

In dem Dokument werden für die damalige Zeit wichtige Voraussetzungen für eine "Wirthschaft" abgefragt. Zum Beispiel:

"Schlaffstätten der Dienstboten", in diesem Fall waren sie: "hell und trocken". "Dienstboten-Schlafstätten" ist nicht unbedingt das, was ich mit einer einfachen Wirtschaft in Verbindung bringen würde. Und nein, ein "Kellner" war auch damals schon ein "Kellner" - und kein Dienstbote ...

Auch der "Bierkonsum" wurde notiert. Warum nur der und warum das für die Stadt überhaupt von Interesse war, ist für mich nicht schlüssig nachvollziehbar. Noch dazu gehörte das Haus damals dem "Privatier Carl Strobel" - und keiner Brauerei. Der Bierkonsum war jedenfalls "in letzterer Zeit gering (...)". Aber vielleicht wollte die Obrigkeit einfach nur ganz genau wissen, wieviel in ihrer Stadt so gesoffen wurde ...

Und: "Wohnungsraum, ob von der Wirthschaft getrennt und ob eigener Eingang". Im Umkehrschluss könnte man meinen, daß es damals Wirtschaften gab, in denen sowohl gewohnt wie auch ohne direkte räumliche Trennung ausgeschenkt und gekocht wurde - die Socken des Gastronomen hingen wahrscheinlich zum Trocknen über dem Tresen. Bin am Überlegen, ob ich diese "Tradition" nicht wieder einführen sollte ...

Aufschlussreich finde ich auch die Rückseite des Fragebogens. Dort wird unter Punkt "19" vermerkt, daß es in der Rumfordstrasse vier weitere "Wirthschaften" gab,  alle zwischen 1875 und 1876 entstanden, von denen nur noch die Gaststätte in der Rumfordstrasse 14 existiert:

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Frage 20 bezieht sich darauf: "Welche Seelenzahl trifft ungefähr auf diese Wirthschaften zusammen und sonach im Durchschnitte auf jede einzelne?". Wenn da mal nicht der Pfarrer seine Finger mit im Spiel hatte. Leider war es dem Beamten ganz offensichtlich zu doof, dies auszurechnen. Seine Notiz: Nur ein Strich. Wahrscheinlich war er Atheist ...  (Ok, ok: Es könnte damals darauf geachtet worden sein, daß nicht zu viele Wirtschaften auf eine zu geringe "Seelenzahl" fallen. Ein Modell, das vielleicht auch heute bedenkenswert wäre ...)

Beispiele für Gastronomen?! Johann Schmid ist z.B. ein Wirt, der in der Rumfordstrasse 17 gleich zweimal sein Glück versuchte: Von 1892 bis 31.5.1899 und vom 1.11.1899 bis 30.4.1901. Schmid war „rechtskräftig verurteilt“. Sein posthumes Glück: Das Krickelkrackel des Beamten, warum er verurteilt wurde, ist fast nicht mehr lesbar:

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Es könnte "Überziehung der Sperrstunde" heißen. Es könnte aber auch etwas ganz anderes heißen. Folgende „Übersetzungen“ meiner Gäste gab es: „Übertretung der Schließstunde“, "Übertretung der Polizeistunde(n)“, „Überziehung der Putzstunde“, „Überziehung der Polizeistunde“, "Übertretung der Polizeidecrete" - suchen wir uns eine raus …

Interessant auch die Antwort eines weiteren Gastes: „Aufgrund des Alters ist man geneigt, dem Beamten eine deutsche Schreibschrift zu unterstellen, aber es ist eher eine eigene Version der lateinischen Schreibschrift! Die erste Zeile liest sich ja noch recht einfach als "Übertretung der", wobei auffällt, dass der Schreiber mit dem Querstrich des "t" teils dynamisch verfährt und auch keinen Bogen über das "u" setzt. Setzt man diese Schludrigkeiten zum Verständnis der 2. Zeile voraus, kommt man mit dem 2. Wortteil unter der Latein-Prämisse einigermaßen glaubhaft auf "stunde", insgesamt komme ich somit am ehesten auf eine - sprachlich allerdings recht abenteuerliche - "Schperstunde", aber vielleicht hatte der Beamte ja vorher einen Ortstermin (mit Flüssigkeits-Qualitätstest) absolviert.“

Schmids-Pächterschaft wurde unabhängig seiner Verurteilung geprägt von Problemen, die gerade im Hinblick auf einen historischen Rückblick von nicht zu unterschätzender Größe und nahezu weltpolitischer Relevanz sind: Schmid hatte Probleme mit dem "Damenabort".

Im Gewerbeamt wurde 1892 deswegen ein eigener Akt angelegt. Seite 1:

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Schmids Problem: Die Buchdruckergehilfen pinkelten in das auf dem Gang liegende, trotz amtlicher Weisung immer noch nicht erneuerte und korrekt gekennzeichnete Damenabort. Dem Buchdruckergehilfen als solchem war aber wohl kein Vorwurf zu machen, da Schmid, aus welchen Gründen auch immer, kein Schild anbringen wollte, daß das Damenabort ein Damen- und kein Buchdruckergehilfenabort (was für ein wunderbares deutsches Wort) war. Nicht überliefert ist, wo der Buchdrucker-Meister und seine Gesellen ihr Geschäft verrichteten. Und warum das Damenabort auf dem Gang lag. Und wo eigentlich das Herrenabort war. Ich bin mir sicher, eines Tages werden Historiker diesen geradezu existentiellen Fragen auf den (Abort)-Grund gehen …

Doch Schmid hatte nicht nur ein Abort- sondern auch noch ein Glaubwürdigkeitsproblem: „Den Angaben des Schmid dürfte überhaupt wenig Glauben beizupflichten sein.“ Schmid dürfte das alles ziemlich K… gefunden haben …

Schmid war zweimal Pächter in der Rumfordstrasse 17.  Mit einer Pause von fünf Monaten. Ich weiß, Sie denken jetzt: "Mensch Vogler, in den knapp 5 Monaten wurde halt umgebaut." Nein, da gab es einen weiteren Gastronomen: Anton Zucker, der wiederum ein zweites Mal das Lokal übernahm: 1907, nach: Philipp Reindl, der vom 1. Mai 1901 bis zum 30. September 1907 Wirt in der Rumfordstrasse 17 war. Warum diese ständigen Wechsel und Wieder-Verpachtungen an die selben Gastronomen?! Weiß man nicht. Philipp Reindl jedenfalls war ein weiterer "Gastronom mit einer nicht ganz weißen Weste. Ein "Auszug aus dem Strafregister" des Gastwirtes:

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Das Militärbezirksgericht München verurteilte Reindl wegen „Vergehen des Diebstahls gegen Vorgesetzten“, „Vergehen der Unterschlagung“, „fortgesetztes Vergehen des Mißbrauchs der Dienstgewalt“. Dafür gab es „4 Monate 15 Tage Gefängnis“ und eine „Degradation“. Das „Amtsgericht München“ verurteilte Reindl dann auch noch wegen der „Unbefugte(n) Ausübung seiner Schankwirtschaft“ zu 50 Mark, ersatzweise 10 Tage Haft.

Ab dem 23.4.1908 geht das Haus in den Besitz von Gabriel Sedlmayr über, der erst einmal: umbaut. In eine Gaststätte: mit Kegelbahn. Wirt ist immer noch: Anton Zucker (bis 31.7.1922).Seit dem Umbau heißt das Lokal "Bierwirtschaft Belvedere". Die "schöne Aussicht" dürfte auch damals nicht viel anders wie heute gewesen sein: Ein Haus. Warum das Lokal so genant wurde, ist für mich nicht recherchierbar. Aber: Das Lokal hatte, wenn schon keine schöne Aussicht, eine neue Kegelbahn. Und die spielt ebenso eine Rolle wie der Nachfolger von Anton Zucker: Josef Lindenmüller, offensichtlich ein Unterstützer des paramilitärisch organisierten "Stahlhelms", "mit seinen (...) rund 500.000 Mitgliedern (der) stärkste Wehrverband des Deutschen Reichs", der sich später mit der NSDAP und der DNVP zur "Harzburger Front" zusammenschloss und in die SA eingegliedert wurde. (Quelle: Deutsches Historisches Museum, Berlin)

Am 31. Mai 1929 „erscheint Josef Lindenmüller, Schankwirt, Rumfordstrasse. 17 und bittet um die Erlaubnis, während der sog. Stahlhelmtage vom 31. Mai 1929 bis 3. Juni 1929 in seiner Kegelbahn ein Massenlager errichten zu dürfen (für ca. 100 Mann)“:

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Die „Bezirks-Inspektion des 12. Stadtbezirkes“ bestätigt u.a..: „Die Kegelbahn dürfte als Massenquartier geeignet sein.“ Auch der Stadtrat hat keinen Einwand. Bedingung u.a.: „Handfeuerlöscher (mindestens einige gefüllte Wassereimer) sind bereitzustellen“.

Die "Stahlhelmtage" scheinen Josef Lindenmüller motiviert zu haben:

„Es erscheint der Bierwirt Josef Lindenmüller, Rumfordstr. 17 wohnhaft und erklärt: (…) Ich bitte um die Genehmigung zur Verwendung eines Teiles des Nebenzimmers (Kegelbahn) zu Schiesszwecken.“

Gut zu sehen auf dem Plan: Die Verlängerung des jetzigen "Bühnen-Raums" (früher: das Nebenzimmer) war: Die Kegelbahn. Links davon im Rückgebäude, das den Krieg nicht überlebt hat: Ein 71 qm grosses "Gesellschafts-Lokal" mit kleinem Schiesstand:

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Der Stadtrat genehmigte 1929 auch dies. Und bewilligte im gleichen Jahr eine umfangreiche Erweiterung des Schiessstandes über die komplette Länge des ehemaligen "Gesellschafts-Lokals", der dann zum "Lagerraum" umfunktioniert wurde.

Sie wissen, das Leben als Gastronom war schon immer eines der aller-, allerhärtesten. An jeder Ecke lauert die Gefahr der Gesetzes-Übertretung, auch an Stellen, an denen wir es gar nicht vermuten. Sie werden sich fragen, wie, wo und warum sich Josef Lindenmüller. "radikalisiert" haben könnte. Ich habe die Antwort gefunden. Josef L. wurde zwei Jahre vorher wegen des Verkaufs von fünf Zigaretten vor seinem Lokal zu einem ganzen Tag Haft verurteilt. Die Haft musste er auch antreten:

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Der Beamte schreibt:: "Lindenmüller Josef, wurde am 23.3.27 nachm. 8.08 Uhr betroffen, als er von der Gaststätte an der Rumfordstr. 17 an 1 Strassenpassanten 5 Stück Zigaretten verkaufte, ohne dass letzterer ein Getränk einnahm. (...) Strafbefehl vom 30.5.27: (...) 1 Tag Haft. Am 26. Sept.1927."

"Betroffen" macht eher, dass für den Beamten 8.08 Uhr schon Nachmittag und rauchen nur mit trinken erlaubt war - und womit sich die Staatsanwaltschaft des Land-Gerichtes damals so alles rumschlagen musste.

Hätte Josef Lindenmüller dem Passanten eine ganze Stange Zigaretten verkauft, wäre er wohl für 40 Tage ins Gefängnis gewandert. Dabei gab es damals doch noch gar kein Rauch-Verbot …

Der Gastronom verstarb am 10. Juni 1942. Seine Frau beantragte am 16. Juli 1942 die Konzession-Übernahme, von der u.a. der „Oberbürgermeister der Hauptstadt der Bewegung“ am 11.8.1942 in Kenntnis gesetzt wurde:

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Am 15.10.1947 gibt sie die „Bierwirtschaft Belvedere“ wegen Krankheit wieder auf.

Drei Jahre vorher, 1944, wurde das Gebäude durch Bomben zwar beschädigt, aber nicht zerstört. Gut zu sehen ist auf dem Bild, daß sich am Erdgeschoss bis heute kaum etwas geändert hat (Dank an die "Sedlmayr KgAa" für das Photo)

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1947 vermerkt die Stadt München: „Die Betriebsräume wurden durch Luftangriffe sehr stark in Mitleidenschaft gezogen.“ Trotzdem möchte der Kellner Karl Albar das „Belvedere“ am 16.10.1947 übernehmen und erhält eine „vorläufige Betriebserlaubnis“. Im „Akt der Gewerbepolizei“ findet sich ein Bauplan vom 18.12.1947: Auch dort ist noch ein Schiesstand und eine Kegelbahn verzeichnet.

„Vorläufig“ vor allem deshalb, weil seine Ehefrau ein umfangreiches Vorstrafenregister („Diebstahl, Hausfriedensbruch, Pfandbruch und Gewerbsunzucht“) vorzuweisen hat und „früher einmal als Prostituierte in einem auswärtigen Bordell tätig (war) und (…) auch in München (…) als Lohndirne Ihren Lebensunterhalt (bestritt)“.

Diese "Verfehlungen der Ehefrau" liegen zwar bereits 14 Jahre und länger zurück, aber trotzdem ist der Stadt das Ganze nicht geheuer. Erschwerend kam dazu: "Der Antragsteller selbst befand sich im Jahre 1933 ca. 3 Monate lang wegen Geisteskrankheit in der Heil- und Pflegeanstalt". 1933?! Wer mag es ihm verdenken. "Unter diesen Umständen wird vorgeschlagen (...) die Betriebsführung während (einer) 3-monatigen Frist eingehend überwachen zu lassen."

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Entwurf des am 11. Februar 1949 "reklamepolizeilich widerruflich genehmigt(en)" Außenschildes:

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"Nach Behebung der Fliegerschäden“ und dem Bestehen der 3-monatigen Überwachung durch die Bezirksinspektion, erhält Karl Albar am 24.9.1951 die „Befugnis zum Ausschank von Bier, Wein, Branntwein und nichtgeistigen Getränken (sic!) täglich bis zur Sperrstunde 1 Uhr“. Der "monatliche Bierverbrauch zum Genuss an Ort und Stelle“ lag bei 6,6 hl. Der Stadtrat moniert am 24.9.1951 allerdings „das Fehlen einer Speisekammer“. Wo die Lebensmittel dann aufbewahrt wurden?! Bleibt Ihrer Phantasie überlassen ...

Am 31. März 1952 schliesst das „Belvedere“ wieder: "Grund der Betriebseinstellung: Kündigung“. Warum Karl Albar gekündigt wurde, ist nicht mehr nachvollziehbar. Der zuständige Mitarbeiter der Spaten-Brauerei ist doch glatt schon in Rente gegangen ...

Am 22. April 1952 kommt es zur Neu-Verpachtung an einen „Metzger und Schenkkellner“. Der Antragsteller ist „50% kriegsversehrt (…), Spätheimkehrer, Entlassung aus russischer Kriegsgefangenschaft am 26.11.1949". Bereits einen Monat später, am 24. Mai 1952 stellt die 18 Jahre ältere Mutter des Gastronomen, von Beruf „Wirtschaftsköchin“, vorher Teilhaberin bei Ihrem Sohn (und 1938/1939 Pächterin der Bierwirtschaft „Zum fröhlichen Türken“ in der Arcisstrasse), einen Antrag zur Fortführung der „Biertwirtschaft Belvedere“. Ihr Sohn wird nun: Teilhaber.

Noch immer wird allerdings von Amts wegen das Fehlen einer Speisekammer moniert. „Nichtgeistige Getränke“ dürfen weiterhin ausgeschenkt werden. Folgende Auflage muss erfüllt werden: „Die Wände im Damen- u. Herrenabort sind 1.50 m hoch abwaschbar herzustellen.“ Die Festpacht beträgt "5% aus dem Gesamtumsatz mindestens 170,- DM monatlich“, die "Kaution 1.000,- DM in bar“.

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Und schon wieder gibt es Probleme mit dem WC: Am 24. Juli 1952  stellt die „Direktion der Städt.-Bezirk-Inspektion" fest: „bisher ist nur die Wand im Damenabort 1,50 m hoch abwaschbar hergestellt worden. Im Herrenabort ist diese Auflage noch nicht vollzogen.“ Am 3.9.1952 schreibt der „Stadtdirektor der Landeshauptstadt München“ einen 2-seitigen Brief: „Bei einer Besichtigung Ihres Betriebes musste festgestellt werden, daß Sie die (…) Auflage - die Wände im Herrenabort 1,50 m hoch abwaschbar herzustellen (…) bis heute nicht erfüllt haben. Zu Durchführung (…) wird Ihnen ausnahmsweise eine weitere Frist bis 15.10.1952 eingeräumt. Sollten die Arbeiten bis zu diesem Zeitpunkt nicht ausgeführt sein, so müsste zu unserem Bedauern gegen Sie Strafanzeige nach (…) erstattet werden.“ Am 22.10.1952 vermerkt die Stadt: „Die gestellte Auflage ist nun vollzogen“. Am 30.11.1952 „zeigt der Gastronom an“, wegen eines „Pächterwechsels“ die „Bierwirtschaft Belvedere“ aufzugeben.

Im Stadtarchiv findet sich auch ein kompletter Pachtvertrag aus dem Jahre 1952. Der Pachtvertrag bezog sich auf folgende Pachträume: "Gastzimmer mit Schenke, Nebenzimmer, Küche, Herren- u. Damenaborten, Bierkeller, Schlachthaus". - Schlachthaus?! 1952?! Wo sich das befand, ist leider nicht mehr recherchierbar.

Interessant wäre aber auch zu wissen, ob die Tiere durchs Lokal oder durch den Hausgang getrieben wurden. Oder gab es vielleicht sogar eigene Stallungen?! Im Hof?! Vor dem Lokal?! Im Gastraum?! - Fragen über Fragen ...

Hier ein Auszug des Pachtvertrages:

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Eine Reihe der vertraglichen Passagen wären so wohl heute nicht mehr durchsetzbar:

- "Die von der Brauerei vorgeschriebenen Ausschank- und Verkaufspreise sind einzuhalten".

- "Pächter verpflichten sich, die Wirtschaft (...) unter persönlicher Leitung ununterbrochen in Betrieb zu halten und ihre volle Arbeitskraft ausschliesslich für den Betrieb einzusetzen."

- "... der Führung einer guten, preiswerten Küche ist die grösste Aufmerksamkeit zuzuwenden." (na, wenigstens diesen Punkt hätte ich auch heute komplett erfüllt …)

- "Die Wirtschaft muss stets als Bierspezialausschank geführt werden. Die Abgabe von sonstigen Getränken jeder Art, insbesondere von Wein, Spirituosen, alkoholfreien Getränken, Kaffee und dgl. darf nur mit vorheriger, jederzeit widerruflicher Zustimmung der Verpächterin erfolgen.“

- „Die Plakate der Brauerei sind an und in den Pachträumen in genügender Anzahl anzubringen.“

- „Verpächterin bzw. deren Vertreter sind berechtigt, (…) (in die Unterlagen) der gesamten Geschäftsführung jederzeit Einsicht zu nehmen. Pächter sind verpflichtet, der Verpächterin auf Verlangen jederzeit Auskunft über Umsätze, aufgeteilt nach den Wünschen der Verpächterin, zu geben. Pächter sind verpflichtet, Geschäftsempfehlungen und sonstige Drucksachen, die sie für die Wirtschaft anfertigen lassen, vor Ausführung der Verpächterin vorzulegen und etwaige Wünsche derselben zu berücksichtigen."

Was ein Glück, dass sogar ich im Jahr 1952 noch nicht geschäftsfähig war, sondern erst 1997 meinen Vertrag unterschrieben habe ..

Eva Kreidl schrieb mir im März 2021 eine E-Mail und konnte die Lücke von 1952 bis 1969 schliessen: "Von 1952 bis 1969 waren meine Großeltern, Katharina und Josef Hitzginger, die ursprünglich aus Oberösterreich kamen, Pächter im Belvedere.

Das Belveder hatte damals einen schlechten Ruf und meine Großeltern einen sehr schwierigen Start. Erst als ein Gasthaus in der Nähe drei Wochen lang geschlossen hatte, kamen die Gäste. Und blieben. Unsere Köchin, neben meiner Großmutter, kam aus Niederbayern, die Mädchen, die halfen, meist aus Österreich. Das Nebenzimmer war mit Tischtennis-Platten ausgestattet. Es gab einen Kicker und zwei Spielautomaten. Damit konnte mein Großvater unsere Köchin, die damals 1.000 DM verdiente, bezahlen.

Ich half beim Kartoffelschälen (um die Wette) und beim Ausschenken mit. Einmal im Jahr gab es einen Hausball mit Bar.

An den Abenden waren viele Kartenspieler (ein Lieblingsgetränk war Weißbier mit Sekt) unsere Gäste, was mich allerdings bewog, nie Kartenspielen zu lernen. Eine unserer Bedienungen, die Frau Brem, war mit der Mutter von Katharina Valente befreundet und öfters als Gast im Belvedere. Sie hatte, soviel ich mich erinnere, wenig Kontakt zu ihrer Tochter.

Unser Metzger war Herr Reichenbach, sein Geschäft lag nur einige Häuser weiter Richtung Reichenbachstraße. Er war mit meinem Großvater befreundet, und an den freien Montagen fuhren wir in seinem Auto aufs Land. Später hatten sie einen Laden unter dem Marienplatz, in der S-Bahn-Zone, den seine Frau und seine Tochter bewirtschafteten. Es war eine Goldgrube.

Leider wurde meine Großmutter krank und dann auch mein Großvater. Die letzten Jahre hat das Belvedere dann mein Onkel, Franz Hitzginger, mit seiner Frau, die Krankenschwester war, übernommen. Die Schwester meiner Tante, auch eine Krankenschwester, die später die Sozialstation München Mitte geleitet hat, half ihnen die erste Zeit. Später arbeitete mein Onkel wieder in der Baubehörde in München.

Ja, ich denke, das war es, und ich denke auch gern an diese Zeit zurück. Sie ist in
vielen Bildern lebendig."

Es finden sich im Stadtarchiv ein paar wenige Photos, wie das jetzige "Vogler" früher aussah. Bilder von vor 1945 habe ich nicht gefunden. Eines der ersten ist ein Bild aus dem Jahr 1969 (mit ganz viel Kopfsteinpflaster) vom damaligen "Pico 17", einer "Diskothek und Filmothek" (wie auch immer das zusammenpasst)

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Nach dem "Pico 17" hiess das Lokal "El Cato".

Es ist extrem schwer, Gastronomen zu finden, die früher im heutigen "Vogler" Pächter waren. Liegt natürlich an: "Über 20 Jahre her", an den ständigen, manchmal jährlichen Wechseln, aber auch daran, daß es keinerlei Unterlagen mehr gibt (und das allwissende Internet war vor über 20 Jahren ein Nix-da-net ...)

Aber einen Ex-Geschäftsführer gibt es. Jetzt wieder in München, vorher in Miami. Alex Richter. Er führte in Miami zuletzt das "Royal Bavarian Schnitzel Haus" und war Anfang der 80er-Jahre Geschäftsführer von: das "Bett" in der Rumfordstrasse 17, Pächter: Hans Wagner, der u.a. das "Bel Ami" in der Reichenbachstrasse betrieb, zur damaligen Zeit wohl das Schwulenlokal in Europa.

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Das "Bett" war (wieder) eine Discothek und dem Schlafzimmer der Schauspielerin Jayne Mansfield nachempfunden - einem "Sexsymbol" der 50er.

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„Jayne Mansfield (…) macht mit ihrem Schlafzimmer posthum Furore. Tanzt doch die Münchner Szene seit einigen Wochen in der neuen Superdisco `Bett’ - dem Nachtgemach des Busenstars getreulich nachgebildet mit allerlei Nachtschränkchen, Spiegeln und viel Marmor. Der Clou des noblen Etablissements: ein riesiges Messingbett mit rosa und himmelblauer Bettwäsche, das über der Tanzfläche schwebt.“

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Alex Richter: "Das Bett war meine Idee nachdem ich als Geschäftsführer im `Charly M' am Maximilansplatz gekündigt hab. Auf der Suche nach einer neuen Location fand ich das `Pico 17', eine Teenie-Disco die immer leer war. Nach dem `Pico 17' kam noch das `Memory`', ein Rock´n Roll Club (...) Mein Vertrag begann 1979 (...), nach 6 Monaten Umbau eröffnete ich, aber ich war zeitweise mehr im KVR als im Lokal wegen der Lärm-Beschwerden.

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"Ich glaube für München war meine Idee zu früh, die Leute hatten einfach den Namen nicht verstanden, viele dachten es wäre ein Puff und so manche Ehefrau hat uns angerufen und beschimpft weil ihr Ehemann ne Einladung bekam. Ich hab viele Write Ups und Photos von Michael Graeter, der damals bei der AZ war, (...) hatte auch zwei grosse Löcher in der Decke der Toiletten weil die Gema für zwei extra Lautsprecher kassieren wollte, die ich dann entfernt hab ..."

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"Ich gab das Lokal dann weiter zu einem Freund der Drummer war bei den `Bamboos of Jamaica', (...) der es als Speiselokal `Nevilles' eröffnete, leider funktionierte es nur während der Modewoche mit Live Music. Das `Nevilles' gab es nur ein Jahr ..." (Dank an Axel Richter für die Photos und die Zeitungs-Ausschnitte!)

Ca. 1983/1984 hiess es auch mal nur "R 17", Geschäftsführer: Walter Schmidt und später Werner Stiglmeier, beides ebenfalls Discotheken und beide Male war wieder Hans Wagner der eigentliche Pächter:

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Um dann zum "M M Bistro" (und "R 17 Pub") umgenannt zu werden:

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Bei den vielen Wechseln kann man leicht den Überblick verlieren. Und bei den manchmal doch sehr eigenwilligen Charakteren ebenfalls. Vieles bleibt im Dunkeln, weil es keinerlei Unterlagen mehr gibt (oder ich zu blöd war, sie zu finden).

Ende der 80-er, Anfang der 90-er wurde das Lokal dann vom Hausbesitzer, der jetzigen "Sedlmayr KGaA" noch einmal komplett umgebaut und aufwendig renoviert. Laut dem mir vorliegenden "Betriebsbuch für eine Getränkeschankanlage" eröffnete Dimitros Godelis am 21. September 1992 das "Emigrec", ein griechisches Restaurant, das er bis 17. Juni 1994 führte. Vom 7. November 1994 bis 25. April 1995: "Tillmann's Bar" von Tillmann Weber und vom 26. Oktober 1995 bis 9. Juli 1997: "Car" von Franz Prost.

Am 31. Juli 1997 eröffnete ich die "Jazzbar Vogler". Ohne jemals in der Gastronomie gearbeitet zu haben. Ohne einen einzigen Musiker zu kennen.  Vor mir wechselten die Betreiber so oft (und es sah lange, lange nicht danach aus, als könnte ich es schaffen), daß ein Spirituosen-Lieferant, mit dem ich vor der Eröffnung sprach, meinte:

"Ich beliefere Sie. Aber nur wenn Sie immer sofort bezahlen. Sie müssen wissen: Auf dem Lokal liegt ein Fluch!"

Vielleicht sollte ich nach über 20 Jahren "Vogler" T-Shirts drucken lassen: "R17-Fluch-Besieger" oder "Fluch - Flucht - Vogler" oder: "Hattu Fluch?! - Muttu Vogler!" ...

Auf hoffentlich noch viele weitere Jahre, Ihr und euer Thomas Vogler

P.S.: Eine Zusammenfassung der Gastronomen in der Rumfordstrasse 17, soweit ich Sie recherchieren konnte. Es gibt vor allem von 1952 bis Ende der 80er immer wieder Lücken. Vielleicht können Sie mir helfen, diese zu schliessen:

..........1876 bis 31.12.1877   ??
01.01.1878 bis 31.12.1880   Herr Wörner
01.01.1881 bis ..........1892   ??
??.??.1892 bis 31.05.1899     Johann Schmid
01.06.1899 bis 31.10.1899   Anton Zucker
01.11.1899 bis 30.04.1901   Johann Schmid
10.05.1901 bis 30.09.1907   Philipp Reindl
01.10.1907 bis 31.07.1922   Anton Zucker
01.08.1922 bis 10.06.1942   Josef Lindenmüller
16.07.1942 bis 15.10.1947   Franziska Lindenmüller
16.10.1947 bis 31.03.1952   Karl Alber
22.04.1952 bis 23.05.1952   Josef Brunner
24.05.1952 bis 30.11.1952   Therese Brunner
01.12.1952 bis 31.10.1969   Katharina und Josef Hitzginger, Franz Hitzginger
.........1969 bis ..................      "Pico 17" ("Teenie-Disco", Filmothek), danach:
                                                  "Memory" ("Rock'n Roll Club")
.........1981 bis .................       Pächter: Hans Wagner, Geschäftsführer: Axel Richter, "Bett", danach:
                                                  "Nevilles's" ("Jamaican Bar")
.........1983 bis .................       Pächter: Hans Wagner, Geschäftsführer: Walter Schmidt und später Werner Stiglmeier, "R 17" (Bistro, Pub)
.........1984 bis .................       "M M Bistro"

Ende der 80er, Anfang der 90er: Umbau

21.09.1992 bis 17.06.1994   Dimitros Godelis, "Emigrec"
07.11.1994 bis 25.04.1995   Tillman Weber, "Tillmann's Bar"
26.10.1995 bis 09.07.1997   Franz Prost, "Car"
31.07.1997 bis      ..........       Thomas Vogler, "Vogler"

Meine Geschichte kennen Sie ja. Wenigstens in Auszügen ... :-)