24. 2010
Feb

Jazz stinkt schon?!

In Anlehnung an Frank Zappa´s "Jazz isn´t dead. It just smells funny." - „Heute schon die Kniekehle penetriert?!“ *

Oder auch: Die Verrohung der Sitten in der Münchner Jazz-Szene

Auszug aus meinem "Newsletter Nr. 390" vom 24. Februar 2010:

Ssirus W. Pakzad ist Journalist. Unter anderem für den „Bayerischen Rundfunk“, die „Abendzeitung“, „Jazzzeitung“, „jazzthing“, „Neue Musikzeitung“ etc.

In der letzten Ausgabe der „in-muenchen“ vom 9. Februar 2012 hat er in seiner Rubrik „Jazz Notes“ folgenden Beitrag über Michael Hornsteins Gastbeitrag „Betriebsstörung - Der Jazz hat in Deutschland keine gesellschaftliche Relevanz mehr. Die Ursachen dafür sind selbstgemacht“ in der "Süddeutschen Zeitung" vom 21./22. Januar 2012 geschrieben:

„Alles ist relevant. Wer die Süddeutsche Zeitung zuletzt regelmäßig gelesen hat, musste fast den Eindruck gewinnen, man habe sich im Feuilleton dieser so geachteten Publikation darauf verständigt, eine Debatte über den Jazz vom Zaun zu brechen, oder vielleicht sogar eine Kampagne gegen diese Musik zu fahren. Drei längere Stücke wurden ins Blatt gehoben. Über zwei davon hätte sich immerhin diskutieren lassen. Der dritte Beitrag aber war ein unerträglich dämlicher Artikel, der „Betriebsstörung“ übertitelt war und die gesellschaftliche Relevanz des Jazz in Deutschland in Frage stellte. Gibt es eigentlich noch Redakteure, die ihrer Aufgabe gerecht werden und Faktenchecks betreiben? Den Beitrag jedenfalls, der am 21. Januar gedruckt wurde, hätte ein kundiger Verantwortlicher sicher zu verhindern gewusst, denn der Dreispalter wärmte nicht nur alte Klischees auf, er strotzte vor Fehlern und stellte lauter Behauptungen auf, die zu widerlegen ein Kinderleichtes ist. Dem Autor, einem hier ansässigen Musiker, war in seinen vom Leser entweder höhnisch belachten oder genervt aufgenommenen Zeilen offensichtlich das Bejammern der eigenen Situation oberstes Anliegen. Keine Rundfunkjobs mehr? Da gibt es nur eines: Üben, üben, üben. Manchmal aber hilft auch das nicht mehr. Die nicht abebbenden Pausengespräche in hiesigen Jazzkonzerten vermitteln jedenfalls den Eindruck, dass, immerhin etwas Positives, ausnahmsweise fast alle einer Meinung sind: Da hat einer tüchtig die eigene Kniekehle penetriert.*“ (Ssirus W. Pakzad)

„Da hat einer tüchtig die eigene Kniekehle penetriert“* ist der Tiefpunkt einer „Diskussion“ über „den Jazz“.

Es darf nicht sein, dass innerhalb der kleinen Münchner Jazz-Szene, in der jeder jeden kennt, über einen Einzelnen öffentlich so hergezogen wird wie Pakzad es tut. Was für eine Respektlosigkeit muss in der Szene untereinander herrschen, wenn „ausnahmsweise fast alle einer Meinung sind: Da hat einer tüchtig die eigene Kniekehle penetriert.*“

Weil er seine Meinung geäußert hat? Es ist mir völlig schleierhaft, warum das „in-münchen“ so einen Beitrag von Pakzad zulässt.

Der Artikel Pakzads verletzt nicht nur alle Regeln journalistischen Anstands, er ist auch redaktionell ein Desaster. Beispiele?! „Gibt es eigentlich noch Redakteure, die ihrer Aufgabe gerecht werden und Faktenchecks betreiben?“ frägt Pakzad, diskreditiert, so nebenbei, seine eigene Zunft und zitiert als einzige „Behauptung“ aus Hornsteins SZ-Artikel: „Keine Rundfunkjobs mehr? Da gibt es nur eines: Üben, üben, üben. Manchmal aber hilft auch das nicht mehr.“

Unabhängig davon, dass dieser „Rat“ einem profilierten Musiker gegenüber eine Unverschämtheit ist: Keine Rundfunkjobs mehr?! Das hat Hornstein nicht geschrieben. Sondern: Der organisatorische Aufwand, Rundfunkmitschnitte zu erhalten, werde für einen Musiker immer größer.

Oder: „Ein kundiger Verantwortlicher (bei der SZ) (hätte Hornsteins Gastbeitrag) sicher zu verhindern gewusst“ - was will uns Pakzad damit eigentlich sagen?! Meinungsfreiheit gilt hier nicht?!

Pakzad schreibt: „er (Hornsteins Artikel) strotzte vor Fehlern und stellte lauter Behauptungen auf, die zu widerlegen ein Kinderleichtes ist“. Journalistisch korrekt wäre nun gewesen, Hornsteins „Fehler und Behauptungen“ zu analysieren - und, wenn nötig, zu widerlegen. Alles andere ist Stammtisch-Populismus unterster Kategorie und es stellt sich die Frage: Wer muss hier „Üben, üben, üben“?!

„Ausnahmsweise fast alle einer Meinung“?! Welchen Claqueuren Ihrer Pausengespräche möchten Sie mit so einem „Artikel“ dienen?! Was wollen Sie mit diesem „Artikel“ eigentlich erreichen?!

Das ganze ist eigentlich nur eins: Traurig. Für den Jazz. Und für diese Szene.
Das einzig Positive: Es kann nur besser werden.

In diesem Sinne, optimistisch wie immer, Euer Vogler

* Da müssen Sie jetzt durch: Sie wissen es vielleicht, ich wusste es nicht: Was heisst eigentlich: „Da hat einer tüchtig die eigene Kniekehle penetriert“?! Der Begriff „die Kniekehle penetrieren“ ist eine Sexualpraktik, die als „albanische Stellung“ bezeichnet wird. Den Rest können Sie selber googeln. „Die eigene Kniekehle penetrieren“ ist demnach aber bei heterosexuellen Männern nur unter Zuhilfenahme eines homosexuellen Mannes oder eines adäquaten Hilfsmittels möglich. - Pakzad begibt sich hier auf ein äußerst dünnes Eis ...


Auszug aus dem "Newsletter 387" vom 3. Februar 2012:

„Let´s talk about ... - Jazz“

Im Internet gibt zur Zeit eine teilweise höchst emotional geführte Diskussion unter „der“ Jazz-Szene. Anlaß: Der Gastbeitrag des Münchner Saxophonisten und Komponisten Michael Hornstein in der SZ vom 21/22. Januar 2o12: „Betriebsstörung. Der Jazz hat in Deutschland keine gesellschaftliche Relevanz mehr. Die Ursachen dafür sind selbstgemacht.“ Der Artikel Hornsteins war eine Antwort auf den Artikel „Der reine Moment. Warum der Jazz neue Maßstäbe braucht, wenn er überleben will“ des SZ-Feuillton-Chefs Andrian Kreye in der SZ vom 1o. Januar 2o12.

Auf den Artikel von Kreye möchte ich hier nicht weiter eingehen - er ist mir zu theoretisch und spielt auch in der Diskussion im Internet kaum eine Rolle. Anders der Artikel Hornsteins. Hornstein wird im Internet regelrecht auseinandergenommen. Das Problem der meisten Autoren scheint allerding zu sein: Sie sind neidisch, nicht selbst einen Artikel in der SZ schreiben zu dürfen. Und: Sie mißgönnen Hornstein eins: Er hat geschafft, was andere sich auch gerne auf ihre Fahnen schreiben würden: Es wird über den Jazz diskutiert. Ein Beispiel für den Frust: Der Kölner Musiker Florian Ross, „Lehrbeauftragter Jazz“ der HfMT Köln. In einem offenen Brief an die SZ, unterzeichnet „von derzeit 100 Professionellen der Jazzszene“ schreibt Ross:

„Der Bericht von Hornstein wimmelt nur so von Unwahrheiten (...) Um die Schädigung der Szene, die der Artikel damit anrichtet, einigermaßen in Grenzen zu halten, bitte, nein fordere ich mit Nachdruck die Möglichkeit einer Replik, in der auf einzelne Punkte eingegangen werden kann.“ Er fordert. Süß.

Was schreibt Hornstein so schädigendes?! Unter anderem.: „Jazz-Musiker verdienen zu wenig“, „es gibt zu wenig Auftritts-Möglichkeiten“, „der organisatorische Aufwand wird immer größer“, „in den Redaktionen sitzen Journalisten, die eigentlich Musiker werden wollten, dafür aber nicht gut genug waren“, „in den Jazz-Hochschulen unterrichten Musiker, die nicht erfolgreich waren“, „junge Musiker würden gefördert, ältere tun sich schwer mit Auftrittsmöglichkeiten“, „gut leben können vom Jazz nur Redakteure, Journalisten und Veranstalter“, „auffällig sei die Ignoranz deutscher Jazzmusiker untereinander“ und und und.

Alles irgendwie nicht neu. Aber: Hornstein hat einerseits natürlich recht. Er ist ein Musiker, der für seine Musik lebt und sie liebt. Hornstein ist ein Idealist. Und das ist gut so. Solche Menschen braucht jede Szene. Andererseits ist das, was Hornstein beschreibt Alltag aller Kreativen, aller Selbständigen. Jazzer befinden sich genauso im Wettbewerb, wie Werber, Grafiker, Fotografen etc. Jeder Berufsstand könnte über seine Situation so einen Artikel schreiben. Aber: Wer sein Publikum, seine Kunden, seine Auftraggeber etc. nicht erreicht, hat schlechte Karten. Wer „nicht am Puls der Zeit ist“, kann einpacken.

Nur: Musiker werden darauf in der Regel nicht vorbereitet. „Ich bin Musiker, also bin ich.“ Was viele Musiker z.B. aber im Unterschied zu anderen Berufsständen offensichtlich nicht lernen ist: Marketing. Banales Beispiel: Viele Musiker sind schon damit überfordert, ein jpg. und einen Info-Text zu stellen. Und: Viele Musiker spielen zwar ein Instrument. Aber sie haben auf ihrem Instrument nichts zu sagen, haben keinen eigenen Ausdruck - keine Persönlichkeit. Das ist so ähnlich, als würde ein Texter ein leeres Blatt Papier abgeben, hätte sich aber als Papier extra schönes Bütten-Papier ausgesucht.

Aber es beginnt schon vorher: Ein junger Musiker, der sich bewußt dafür entscheidet, seinen Lebens-Unterhalt mit Musik verdienen zu wollen, muß wissen: Bin ich wirklich gut genug dafür?! Was unterscheidet mich von anderen?! Habe ich eine Chance in diesem Markt?! Oft scheint dies aber überhaupt keine Rolle zu spielen. Gerade bei Sängerinnen und Sängern entsteht immer wieder der Eindruck: Jeder der sprechen kann, könne auch singen. Neeeeeeeeeeein.

Natürlich wird es immer schwieriger für Musiker, einen Auftritt zu organisieren - weil es immer weniger Spielstätten gibt. Auch keine neue Erkenntnis. Seit ich 1997 aufgemacht habe, ist kein einziger Club mit einem adäquaten Programm dazugekommen. Wenn andererseits in München aber ein Club mit Millionen des Steuerzahlers über die Jahre gefördert wird, dann verzerrt dies zum Einen den Wettbewerb, zum Anderen schadet es der hiesigen Szene: Das Geld wird nicht in die Szene gesteckt, nicht die Lokal-Matadore sind die Highlights, sondern auswärtige Größen. Umgekehrt passiert dies aber nicht.

Grundsätzlich gilt für den Jazz, seine Musiker, seine Labels, seine Clubs, seine Hochschulen, seine Musik, was für den gesamten Rest der Republik gilt: Der Wettbewerb ist härter geworden. Und wer überleben will, muß sich was einfallen lassen. Jammert nicht - pack mas an!

Euer Vogler :-)


Auszug aus dem Newsletter vom 13. April 2012:

Antwort des Musik-Journalisten Oliver Hochkeppel auf den Artikel "Betriebsstörung" von Michael Hornstein in der SZ vom 21./22. Januar 2o12

„Lieber Thomas, (...) dass du den Michael Hornstein gegen die überzogene Wortwahl vom Ssirus in Schutz nimmst, ehrt dich. Ihm aber inhaltlich zur Seite zu springen, wäre nicht nötig gewesen. Ich verstehe den Ssirus nämlich irgendwie ganz gut, habe ich mich doch selbst maßlos geärgert: Der Michael hat der Sache - und vor allem den Musikern, die sich jetzt von Berlin aus mal aufrappeln - einen Bärendienst erwiesen. An seinem Pamphlet stimmen tatsächlich gerade mal drei halbe Sätze. Du hast nun gefordert, der Ssirus hätte das journalistisch sauber belegen müssen: Dazu war in seiner knappen Kolumne definitiv kein Platz, so viel, wie da falsch war. Also will ich das mal nachreichen.

Schon der erste Satz ist falsch: Es gibt inzwischen keine „zwei großen Strömungen“ im deutschen Jazz mehr, es gibt ein munteres Plätschern verschiedenster Bäche – was nicht unbedingt gut sein muss, doch dazu später mehr. Weiter: Dass die Musiker den Konzertbetrieb nicht selbst verwalten, war naturgemäß noch nie anders, allerdings gibt es dazu mehr Ansätze denn je: Festivals wie das Münchner J.I.M.-Jazzfest sind ja Eigeninitiative, und wahrscheinlich hat es noch nie so viele Musiker gegeben, die auch als Programmmacher der Festivals und Clubs tätig sind. Dass es der Jazz im Clubbereich so schwer wie nie hat, ist - in historischer Perspektive - gleichfalls zumindest zweifelhaft. Sicher gab es in den Fünfziger Jahren viel mehr Jazzclubs, doch waren diese oft reine Olttime-Schuppen und Fanveranstaltungen. Die große Krise (nämlich in den späten Siebzigern und Achtzigern) haben die Clubs m.E. und trotz einer aktuellen Delle eher schon überwunden (...) Zumindest in reichen Regionen wie unserer gibt es kein Bürgerhaus oder Kulturzentrum mehr, das nicht auch Jazz anböte. Freilich, mit einem inzestuösen Programm gespeist nur von und für die heimische Szene funktioniert es nicht mehr.

Den Live-Club gar gegen den DJ-Bereich aufzurechnen, ist höchst seltsam – für das Live-Erlebnis gibt es gerade im Jazz keinen Ersatz; zwischen diesen beiden Bereichen gab und gibt es also keine echte Konkurrenz, was sich schon daran zeigt, dass sich im DJ-Bereich kaum Jazz finden lässt.

Hornstein hat Recht, was die zunehmende Konkurrenz um die Auftrittsmöglichkeiten betrifft. Was aber zuallererst an der wachsenden Zahl ausgezeichneter Jazzer liegt, ein Ergebnis vor allem der universitären Ausbildung, die sich inzwischen nicht mehr im Erlernen des Handwerks erschöpft, sondern auch echte Kreativität hervorzukitzeln und zu fördern weiß. Die Älteren, vor allem die nicht ganz so brillanten, haben es da in der Tat zunehmend schwerer. Dass auch die betriebswirtschaftlichen und organisatorischen Anforderungen an einen Jazzmusiker gewachsen sind – in welchen Beruf wäre das heutzutage anders?

Richtig ärgerlich wird es, wenn der Hornstein behauptet, Fördergelder würden, statt den Musikern zugute zu kommen, in einer „ständig wachsenden Verwaltung“ versickern. „Heute gibt es allein beim Rundfunk in München mindestens X Jazzredakteure“, schreibt er. In Wahrheit sind es genau zwei – so wie vor zwanzig Jahren, als die Planstellen dankenswerterweise eingerichtet wurden, die seither unermesslich viel für die Förderung der Szene getan haben. Die Zahl der freien Mitarbeiter, die Hornstein da wohl subsummiert, ist seit vielen Jahren rückläufig, ihre Bezahlung leider seit 20 Jahren auch.

Aber weiter im Text: Die Einflussnahme auf die Musik durch die Redakteure sei heute größer denn je – das Gegenteil stimmt auch hier: im Gegensatz zu früher (...) gibt es schlicht keine direkte Einflussnahme, und die Bandbreite wie Ausgewogenheit der gesendeten Musik ist nachweislich so groß wie nie zuvor. Genauso falsch ist der (obendrein kleinkarierte) Vorwurf, viele Redakteure, Journalisten und Veranstalter seien verkrachte Musiker, die es nicht geschafft haben – ein Vorwurf übrigens, aus dem bei Hornstein ein Schuh wird. Vor Jahrzehnten mag einmal etwas dran gewesen sein, heute wird man nur noch wenige Jazzjournalisten finden, die nicht von Anfang an aus dem Journalismus kommen, und weit weniger Veranstalter, die als Musiker angefangen haben. Dass die Dozenten und Professoren ebenfalls gescheiterte Musiker seine, spottet jeder Beschreibung: Meint er hier den Michael Riessler, den Reichstaller, den Jost oder wen? Noch an der kleinsten Musikhochschule lehren heute internationale Cracks, da muss man nur in ein beliebiges Dozentenverzeichnis schauen.

Trotzdem mault Hornstein: „Gut leben können vom Jazz in Deutschland nur Redakteure, Journalisten und Veranstalter“ – und das grenzt an Ehrabschneidung. Denn die Realität sieht komplementär anders aus: Die Entwicklung der Honorare für freie Jazzjournalisten unterbietet noch die der Musikergagen, ausgehend von einem weit niedrigeren Sockel. Ein paar Beispiele mögen genügen: Würde ein freier Kritiker an 30 Abenden eines Monats Konzerte für die Süddeutsche Zeitung besuchen – einen ausgewiesenen Jazzredakteur gibt es dort übrigens so wenig wie bei allen anderen Tageszeitungen -, was physisch, aus Angebots- wie aus Nachfragegründen unmöglich ist und alles in allem mindestens eine 60-Stunden-Woche ergäbe, würde er mit 2200 Euro brutto nach Hause gehen. Die Honorare der meisten anderen Zeitungen sind indes noch viel niedriger, die der vier deutschen Fachzeitschriften für Jazz nur noch als Aufwandsentschädigung zu bezeichnen. Jazz-Kritiker als Beruf ist in Deutschland nicht machbar, Mischkalkulation und diverse Jobs sind – genau wie bei den meisten Musikern - Pflicht.

Nächste Berufsgruppe: es gibt hierzulande keinen Veranstalter, der sich mit dem Jazz eine goldenen Nase verdienen würde – selbst der Branchenprimus Karsten Jahnke hat bei seinen "Jazz today"-Tourneen in sieben Jahren nicht einmal schwarze Zahlen gemacht, ebensowenig wie beim sehr gut laufenden Elbjazz-Festival. Sein Geld verdient er mit Rock und Pop, Jazz macht er, weil er ihn liebt. Wie es eben in dem Metier wie bei den Journalisten schlicht nur Idealisten und Selbstausbeuter gibt - und zugegeben auch etliche Wichtigtuer.

Satz für Satz könnte man so zerpflücken, mich wundert, dass ihm noch kein Kollege an den Kragen gegangen ist: Nur "Groove- und humorfreie Musik, die im Grunde niemanden interessiert"? Stagnation allerorten? "Die meisten Neuerscheinungen sind Rückgriffe auf die Geschichte des Jazz und Aufgüsse des ewig Gleichen, von jüngeren und hübscheren Musikern immer langweiliger nachgespielt. Sie sprechen, aber sie sagen nichts. Es fehlt an klaren Aussagen und Profilen" ??? Der Mann war anscheinend zu oft in Indien, China und sonst wo (...) und sollte auch nicht von sich auf andere schließen: Ein Michael Wollny, Florian Weber, Chris Gall, Henning Sieverts, Pablo Held, Angelika Niescier, Nils Wogram, Wanja Slavin, Johannes Enders, die Schriefls, dazu die aktuelle Woge groovender und humorvoller Geschichten von Jazul bis Mo'Blow, vom Panzerballett bis zu Erdmann - all das ist ja nur die Speersspitze. So viel wie in den vergangenen 15 Jahren hat sich noch nie getan und nie zuvor gab es so viele gute Jazzer in Deutschland - das ist Tatsache für jeden, der sich nur ein bisschen in der Szene rumtreibt.

Nächster Punkt: Alles spielen nur noch Eigenkompositionen, deshalb gibt es keine gemeinsame Sprache mit dem Publikum mehr. Auch das ist - wie man als jemand, der in der Woche zwei Schüttungen deutscher Jazz-CDs bekommt - mehr oder weniger Blödsinn. Es gibt aktuell den Trend der Klassik-Bearbeitungen, es gibt jede Menge Hommagen an die großen Alten, und die meisten haben zumindest ein, zwei Standards auf ihren Alben. Aber nur Standards zum Tausendsten mal runterzureißen, das kann eben definitiv nicht mehr der wahre Jakob sein. Bei Jung contra alt will ich mich raushalten: meine Beobachtung ist, dass doch eher gut oder schlecht zählt.

Schließlich würde mich noch interessieren, was diese ominöse "gesellschaftliche Relevanz" sein soll. Hatte der Jazz in Deutschland je "gesellschaftliche Relevanz"? Hat das heute im strengen Sinne überhaupt noch eine Kunstform? Darum, dass das Theater oder das Kino oder die klassische Musik auch nur ansatzweise eine Wirkung wie in den 20ern oder partiell auch in den 50ern entfaltet, darum müsste man ja in unserem Primat der Ökonomie mit Kultur als "weichem Standortfaktor" generell kämpfen.

Der Jazz, da darf man sich nichts vormachen, ist und bleibt eine Nische. Pop war er nur einmal in seiner Geschichte, zu Swing- und Bigband-Zeiten. Danach wurde Pop Jugendkultur, und das ist der Jazz nicht und will es auch nicht sein: Jazz muss man lernen - auch als Hörer. Er ist aber meiner Überzeugung nach eine Nische des Guten und Wahren (oder besser: der Freiheit und Demokratie). Die Krise der Musikindustrie ist keine Krise der Musik: Wir haben vielmehr ein Vermittlungsproblem. Daran arbeite ich mit meinen bescheidenen Mitteln aus Überzeugung Tag für Tag. Und da muss ich es als Tritt in die Eier verstehen (um jetzt mal Ssirus umzudrehen), wenn ausgerechnet einer aus der Szene einer uninformierten breiten Öffentlichkeit weis machen will, das sei alles nichts wert. Die Leute glauben das womöglich. Das kann auch nicht in deinem Sinne sein. Und das wollte ich dir einfach mal sagen.“


Mehr Informationen zu diesem Thema:

- Den Artikel "Der reine Moment" von Andrian Kreye aus der "Süddeutschen Zeitung" vom 1o. Januar 2o12 finden Sie z.B. unter: http://www.sueddeutsche.de/kultur/zukunft-des-jazz-musik-des-reinen-moments-1.1350837

- Der Artikel "Betriebsstörung" von Michael Hornstein aus der "Süddeutschen Zeitung" vom 21./22. Januar 2o12.

- "Was Sie über Jazz wissen sollten", ist ein Aufsatz des promovierten Musik-Wissenschaftlers Dr. Klaus Miehling. Dieser, sorry, Nonsens, den Sie gleich lesen werden, ist keine Satire. Der Mann meint ernst, was er schreibt. Aber jetzt dürfte Ihnen klar werden, warum Sie als Jazz-Fan immer so einen Hang zur Aggression, Drogensucht, Kriminalität, Faulheit, Promiskuität etc. haben :-)

- Die Homepage von Michael Hornstein http://www.michaelhornstein.de/